NO-INCOME-November (Dezember, Januar, …) – Perspektiven für Musiker*innen im Popularmusikbereich JETZT

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von Martin Breternitz, Vorstand LAG Songkultur Thüringen e.V.

Aus der Weimarer Fußgängerzone werfen wir einen Blick durchs Fenster: Im Klub ist es dunkel, Barstühle stehen abgedeckt verkehrt herum auf dem langen Holztresen. Kein Ton kommt aus den von der Decke hängenden Bühnenlautsprechern, auf dem Drumset in der Ecke hat sich mittlerweile eine beachtenswerte Staubschicht gesammelt. Die gesellschaftlichen Einschränkungen aufgrund der anhaltend hohen Covid-19-Fallzahlen in Deutschland im November und Dezember 2020 treffen die Kulturbranche vor Ort nun schon zum zweiten Mal – und sie treffen hart.

Drückten die auf Infektionsanstieg bezogen ohne Zweifel sinnvollen Einschränkungen von März bis Juni diesen Jahres bei professionellen Musiker*innen im Thüringer Pop/Rock/Jazz-Bereich nicht schon eine gewaltige Delle in monatliche Einkommen und berufliche Selbst- und Sicherheitsverständnisse, so erreichen dies spätestens die neuerlichen Maßnahmen, die auch wieder den und die soloselbstständige/n Musiker*in ganz direkt treffen: vom vielfältig konzertierenden Jazzbassisten, über die sonst auf Monate hinweg ausgebuchte Hochzeitsgig- und Coverband, bis zur freischaffenden Gitarrenlehrerin – keine Gigs = keine Gage. Die Novemberhilfen der Bundesregierung und bestenfalls auch die kommenden Neustarthilfen sind hier für einige zumindest eine Art Notanker, aber bieten sie wirklich eine mittel- und langfristige Perspektive für Musikschaffende?

Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion Weimar (MIT) wies kürzlich nach Gesprächen mit Weimarer Künstler*innen und Kulturschaffenden, wie Johannes Hille (Vorstand LAG Songkultur) in einer Pressemitteilung darauf hin, dass bei vielen Künstler*innen und Solo-Selbstständigen im Musikbereich etwaige Rücklagen in den letzten Monaten nun endgültig aufgebraucht sind.

Nice work, if you can get it!” (Sinatra)

Klar ist: Aktuell weichen die meisten Musiker*innen, die nicht im staatlichen Kulturbetrieb oder entsprechenden pädagogischen Institutionen angestellt sind auf andere Einkommensmöglichkeiten aus – oder beziehen schlichtweg Hartz IV. Beinahe jeder/jede muss sich grundlegend neu orientieren.

Derartige Stimmen werden auch im Umfeld unseres Verbandes, der LAG Songkultur Thüringen, zahlreicher. Eines sind diese Stimmen jedoch nicht: laut. Nur, ist es heroisch, analog des Streichquartetts, das den Untergang der Titanic umrahmte, bis zuletzt durchzuhalten? Sind (zumindest temporäre) berufliche Umorientierungen tragische, aber übergeordnet gesellschaftlich vernachlässigbare Problemfälle einzelner, oder sind sie nicht auch gesellschaftliche Aufgabe?

Als Landesverband für populäre Musik in Thüringen befürworten wir ausdrücklich die Forderung Heinz-Jürgen Kronbergs (MIT Weimar) nach finanzieller Unterstützung von Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für diejeningen Musiker*innen, die konkret und aktuell berufliche Perspektiven brauchen. Aus dem Aufruf:

„Konkrete Hilfen für freischaffende Künstler[*innen]/Musiker[*innen] und Soloselbstständige aller Gewerke können dahingehend gestaltet werden, dass Kosten zur Weiterbildung oder Umschulung im Jahr 2020/2021 (auch rückwirkend) vom Staat übernommen werden.“ – Yes, please!

Es ist schön, dass Sie Klavier spielen können, aber ich wollte eigentlich fragen, was Sie beruflich machen?“

Disclaimer: Nein, wir rufen hier als Landesverband für populäre Musik nicht zum hals- über kopflosen Berufswechsel auf. Musik ist ein valider Lebensentwurf und sollte breitestmögliche Anerkennung, auch als Beruf erhalten. Aber, wir denken es ist wichtig, Auswege aus einer aktuell sich ausweitenden Perspektivlosigkeit für Musiker*innen zu suchen, sollten sie für sich diesen Weg individuell ins Auge fassen.

Wenn Idealismus Kernbrennstoff der Kreativität ist, stellt sich hier die Frage, wieviel Idealismus unter Hartz-IV-Bezug für den oder die Einzelne letztlich übrig bleibt. Ein Großteil der professionellen Jazz/Rock/Pop-Musiker*innen sind im pädagogischen Bereich tätig, wie Studien im Jazz- und Popbereich immer wieder aufzeigen.i Am aktuellen Beispiel Sachsens, das als einziges Bundesland im Rahmen der II.-Welle-Corona-Maßnahmen Musikschulen als „Freizeit“- anstatt faktischer Bildungseinrichtungen deklarierte und somit zeitweise schließt, ist auch dieses ohnehin nur wackelige Standbein für Musiker*innen nur mit verschwindend geringer Standfestigkeit belastbar. Überhaupt gilt für den pädagogischen Bereich in populärer Musik: Die Stellensituation im Verhältnis zu Honorarbeschäftigungen ist auch in den staatlichen Musikschulen etablierter und trauriger status quo, statt etwa verwaltungstechnokratische Übergangsregelung.

Erneut auch Heinz-Jürgen Kronberg (MIT) hierzu: „Dabei muss auch die Umwandlung von Honorarverträgen in Festanstellungen an Musikschulen geprüft werden. Die Erstattung der Kosten für Umschulungen und Weiterbildungen muss unbürokratisch, einfach und zuverlässig gestaltet sein“.

Es sei an dieser Stelle auf Digital-Alternativen für das eigene musikalisch-kreative Schaffen verwiesen, in Form von Monetarisierungsangeboten für aktuell unfreiwillig konzert- und publikumsbefreite Musiker*innen. Abseits der bekanntlich nur marginalen Summen, die über Youtube, Spotify und Co erreicht werden können, bieten Plattformen wie Patreon oder Steady Möglichkeiten, mit dem eigenen Publikum Kontakt zu halten, Einnahmen zu generieren und Streaming-Konzerte und andere musikalische Projekte umzusetzen.

Über Plattformen wie beispielsweise Fiverr oder auch Twago und freelance.de ist es zudem möglich, sich als dienstleistender Freelancer*in anzubieten. Auch wenn vor allem bei letzteren beiden Beispielen und anderen Plattformen die Schwerpunkte in anderen Kreativbereichen liegen, werden dennoch Leistungen rund um Musik und deren Produktion angeboten.
In Sachen Wissensvermittlung gibt es ebenfalls digital Angebote und Möglichkeiten. Auf beispielsweise Skillshare können kreative Expert*innen Kurse anbieten, eine Community aufbauen und ihr Einkommen zumindest etwas aufstocken – auch im Bereich Musik und artverwandten kreativen Gewerken.

Sicherlich: Wieviel schließlich bei den einzelnen Plattformen herauskommt und inwiefern sie für den/die Einzelne*n in Frage kommen, muss immer individuell betrachtet und entschieden werden. Nicht immer sind sie für jeden das Richtige. Vielleicht sind für manche Musiker*innen diese Plattformen einen Blick wert und können in der aktuellen Lage zu Bausteinen für den eigenen Lebensunterhalt werden. Über die Beispiele hinaus lohnt sich dabei der Blick ins Netz, welche Alternative es noch geben kann.


i Schulmeistrat, Stephan et al. (Hrsg.): Musikleben in Deutschland. Deutscher Musikrat und Deutsches Musikinformationszentrum (MIZ), Bonn: MIZ 2019. http://www.miz.org/musikleben-in-deutschland.html

Renz, Thomas: Jazzstudie 2016. Lebens- und Arbeitsbedingungen von Jazzmusiker/-innen in Deutschland. Universität Hildesheim 2016. http://www.jazzstudie2016.de.

Norz, Maximilian (2016): Faire Arbeitsbedingungen in den darstellenden Künsten und der Musik?! Eine Untersuchung zu Arbeitsbedingungen, Missständen sowie Vorschlägen, die zu besseren Arbeitsbedingungen beitragen können. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung;


Foto: Tim Mossholder